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Harte Franken gespart
Bei der Programmierung von Maschinen haben klassische Editoren zwei Nachteile: Die Bediener der Maschinen entdecken Kollisionen oft erst beim Einfahren. Das sorgt für lange Stillstands- beziehungsweise Ausfallzeiten an der Maschine. Außerdem lässt sich mit einem klassischen Editor die komplexe Bearbeitung von Werkstücken, die viele ineinander laufenden Schrägen haben, nicht mehr beziehungsweise nur noch mit einem unverhältnismäßig hohen Zeitaufwand für das Einfahren und Optimieren eines NC-Codes programmieren. Das waren die Gründe, warum die Schweizer Werkzeugfabrik Ifanger nach Anschaffung einer neuen Präzisionsfräsmaschine vom Typ Fehlmann P 60 auch nach einer neuen CAD/CAM Software suchte. Auf der kompakten, vibrationsarmen 5-Achs-Maschine wollte man die kunden- bzw. maschinenspezifischen Halter komplett bearbeiten. "Wir wollten gerade bei kleinen Losgrößen schneller werden, was eine fehlerfreie Programmierung voraussetzt", erklärt Geschäftsführer Stephan Spuler, der sich selbst auf die Suche nach einer geeigneten Software machte.
Hochwertige Zerspanungstechnologie zu bieten ist das Credo von des Werkzeugherstellers Ifanger aus Uster bei Zürich, der 1917 vom Großvater des jetzigen Firmenchefs gegründet wurde. Neben Sonderwerkzeugen für das Drehen und Rändeln entwickelt und fertigt das Schweizer Familienunternehmen hochpräzise Innendrehwerkzeuge aus geschliffenem Hartmetall für Bohrungen mit 0,5 bis 7 Millimeter Durchmesser. Sie werden unter dem Markennamen MicroTurn weltweit vermarktet - vorwiegend an Kunden in der Elektronik- und medizintechnischen Industrie sowie im Automobilbau. Außerdem vertreibt das Unternehmen, das 31 Mitarbeiter beschäftigt, seit vielen Jahren Bohrfutter und Spannmittel sowie Fräs-, Dreh-, Bohr- und Senkwerkzeuge von namhaften Herstellern wie Kennametal oder Komet auf dem Schweizer Markt.
Innendrehwerkzeuge mit konstantem Profil, die man auf nur auf der Spanfläche nachschärfen musste, waren lange Zeit des Aushängeschild des Schweizer Werkzeugherstellers. "Heute ist die Micro-Turn-Familie von Innendrehwerkzeugen aus Hartmetall, die aus dem Vollen geschliffen werden, unser Hauptprodukt", sagt Spuler. Obwohl es sich im Prinzip um Standardprodukte handelt, muss der Hersteller für jede neue Langdrehmaschine, die auf den Markt kommt, spezielle Werkzeughalter entwickeln. Und das sind nicht gerade wenige. Auch die größeren Drehwerkzeuge mit Wendeplatten oder die Halter für die Rändelwerkzeuge sind normalerweise Sonderanfertigungen, die im Kundenauftrag entwickelt und gefertigt werden.
Bei kleinen Losgrößen schneller
Um kundenspezifische Aufträge schneller und kostengünstiger abwickeln zu können, modelliert Ifanger Sonderwerkzeuge und Werkzeughalter mit Top Solid in 3D, so dass sie über die Eingabe von wenigen Parametern angepasst werden können. Dadurch haben sich die Durchlaufzeiten reduziert, wie Spuler sagt: "In derselben Zeit, in der wir früher den Halter für ein Rändelwerkzeug in 2D neu gezeichnet haben, passen wir heute das Modell, an, erzeugen das passende CAM-Programm und fräsen das Teil auf der Maschine. Die Durchgängigkeit zwischen CAD und CAM bringt gerade bei Produktfamilien, die in kleinen Losgrößen gefertigt werden, enorme Zeitvorteile."
Anlass für die Einführung der 3D-CAD/CAM-Lösung von Missler vor gut einem Jahr war die Anschaffung einer neuen Präzisionsfräsmaschine vom Typ Fehlmann P 60, die mit einer Heidenhain 530-Steuerung ausgestattet ist. Auf der kompakten, vibrationsarmen 5-Achs-Maschine wollte man die kunden- bzw. maschinenspezifischen Halter komplett bearbeiten, was zwangsläufig ein neues Programmiersystem erforderte. Mit dem klassischen Editor ließ sich die komplexe Bearbeitung der Werkstücke, die viele ineinander laufende Schrägen haben, nicht mehr bzw. nur noch mit einem unverhältnismäßig hohen Zeitaufwand für das Einfahren und Optimieren des NC-Codes programmieren. "Wir wollten gerade bei kleinen Losgrößen schneller werden, was eine fehlerfreie Programmierung voraussetzt", sagt Spuler, der sich selbst auf die Suche nach einer geeigneten Software machte.
Als Hersteller von eigenen Werkzeugen und Aufnahmen benötigte Ifanger ein CAM-System mit leistungsfähigen CAD-Funktionen, was den Kreis der in Frage kommenden Systeme einschränkte. Ebenso wichtig war eine gute Unterstützung der Drehbearbeitung, da man nicht nur die Fehlmann P60, sondern auch die beiden Drehfräszentren vom Typ Index G200 an die CAM-Lösung anbinden wollte. Beide Maschinen sind mit Doppelspindel und je zwei Werkzeugrevolver ausgestattet, die für die (stirnseitige) Fräs- und Bohrbearbeitung von Drehteilen mit angetriebenen Werkzeugen bestückt werden.
Bauteilübergreifende Simulation
Die passende Software war schnell gefunden: Top Solid bot von den in Frage kommenden Systemlösungen bzw. Systemkombinationen die beste CAD/CAM-Integration und auch die beste Unterstützung der integrierten Dreh/Fräsbearbeitung. Schwieriger als die Systementscheidung war die Partnerwahl. Man entschied sich Trotz der räumlichen Distanz für den deutschen Missler-Vertriebspartner Adequate Solutions, weil er viel Erfahrung auf dem Gebiet des Drehfräsens mitbringt und über die größeren personellen Ressourcen verfügt. "Das garantiert uns einen guten Anwendersupport und eine schnelle Reaktion bei notwendigen Anpassungen an den Postprozessoren", sagt Spuler, der mit der Unterstützung durch das Lahrer Systemhaus sehr zufrieden ist. In einem ersten Schritt band Adequate Solutions die Fehlmann P60 an Top Solid an. Den dafür erforderlichen Postprozessor lieferte das Systemhaus zusammen mit einem kinematisch aufbereiteten Maschinenmodell, das eine Simulation der 5-Achs-Bearbeitung in der virtuellen Maschinenumgebung ermöglicht. An dem Postprozessor waren nur drei-vier kleinere Anpassungen erforderlich - dann lief die Anwendung rund, wie Spuler sagt: "Die Spanntürme für die Aufspannung von mehreren Bauteilen haben wir selber nachmodelliert, um die Bearbeitung bauteilübergreifend simulieren zu können. Bei den Fräswerkzeugen kommen wir mit dem Standardumfang von Top Solid Tool aus, so dass wir nur ein paar Spezialfräser und die Aufnahmen in die Bibliothek einpflegen mussten." Für die Drehbearbeitung wurden dagegen viele Werkzeuge eins zu eins in Top Solid Tool abgebildet, während man die Aufnahmen für die Index-Maschinen von der Homepage des Herstellers herunterladen konnte. Die Anbindung der beiden Drehfräszentren war insgesamt etwas aufwendiger, weil Ifanger spezielle Anforderungen hat, was das Abstützen der Werkstücke, das Freifahren der Revolver und das Abgreifen der Teile durch die Gegenspindel anbelangt. Diese Operationen müssen die CAM-Programmierer heute noch von Hand eingeben. "Das liegt aber weniger am Postprozessor, der die manuell definierten Operationen korrekt interpretiert, als an den fehlenden Routinen in der CAM-Software", sagt Richard Zak, Leiter der Abteilung Drehen und Fräsen bei Ifanger. "TopSolid bietet die Möglichkeit, solche Operationen als wieder verwendbare Methoden abzulegen, aber da fehlt uns noch ein bisschen Schulung."
Gut geschult
Adequate Solutions schulte die Anwender jeweils drei Tage im Umgang mit den grundlegenden CAD- und CAM-Funktionen. Das sei wenig Zeit, um sich mit den Besonderheiten der parametrischen Konstruktion vertraut zu machen, meint Spuler, der selbst mit dem System arbeitet: "Ich lege zum Beispiel die Werkzeughalter als Teilefamilie an, um sie schnell an kundenspezifische Anforderungen anpassen zu können. Wenn man die parametrischen Beziehungen erst einmal korrekt definiert hat, ist man unglaublich schnell. Neulich habe ich einen Kunden verblüfft, als ich während der Besprechung am Telefon das 3D-Modell geändert und ihm ein PDF der aktualisierten Zeichnung zugeschickt habe, noch bevor er den Hörer auflegte."
Fotorealistische Ansichten
Der Konstruktionsaufwand hat sich durch die konsequente Parametrisierung von Teilen, die häufig in ähnlicher Form vorkommen, bzw. den Aufbau von Teilefamilien spürbar reduziert. Ein weiterer Vorteil des 3D-Einsatzes ist die Möglichkeit, von den Modellen fotorealistische Ansichten für Produktkataloge oder Kundendokumentationen abzuleiten, wie Spuler sagt. Dieser Zusatznutzen wird aber derzeit noch nicht ausgeschöpft. Die Konstrukteure nutzen Top Sold auch für die Modellierung der Micro-Turn-Werkzeuge, um von den Modellen dann Fertigungszeichnungen für das Hartmetallschleifen abzuleiten. Zum Bedauern von Spuler können die Schleifmaschinen noch nicht an Top Solid Cam angebunden werden, um die Bearbeitung CAD-gestützt zu programmieren. Das hat unter anderem zur Folge, dass die (mathematisch korrekt angegebenen) Winkelmaße von bestimmten Geometrien in den Zeichnungen für die Fertigung überarbeitet werden müssen. "Kein großes Problem", sagt Spuler, "wir müssen nur aufpassen, dass wir bei Änderungen die manuell eingegebenen Maße nachziehen."
Kontrolle über den ganzen Maschinenraum
Die Software läuft in Uster derzeit auf zwei CAD-Arbeitsplätzen und einem CAM-Arbeitsplatz, den sich zwei Programmierer in der Werkstatt teilen. Sie programmieren in unmittelbarer Nähe der Maschinen, so dass sie das Einfahren neuer NC-Programme vor Ort überwachen können. "Wir haben die Maschinenbestückung und Aufspannung teilespezifisch abgelegt, so dass wir bei ähnlichen Teilen eine vorhandene Vorlage mit Bearbeitungsoperationen, Schnittwerten, Vorschüben etc. einfach übernehmen können. Durch die Wiederverwendung hat sich der Aufwand für die Programmierung von anfangs zwei bis drei Stunden auf eine halbe Stunde reduziert", erläutert Zak. Weitere Zeiteinsparung verspricht er sich von einer konsequenteren Nutzung standardisierter Bearbeitungsfolgen, beispielsweise für das Bohren, Zentrieren, Facettieren und Gewindeschneiden, die als Feature im CAD-Modell hinterlegt werden können. Die Lösung aus Frankreich beschleunigt nicht nur die Programmierung der Fräs- und Drehbearbeitung, sondern reduziert auch den Zeitaufwand für das Einfahren neuer NC-Programme auf den Maschinen. Das gilt insbesondere für die Drehfräszentren, bei denen in einem relativ engen Arbeitsraum die Bewegungen von zwei Revolvern aufeinander abgestimmt werden müssen. "Die gute, visuelle Kontrolle über den ganzen Maschinenraum zählt zu den besonderen Stärken der Software", betont Zak, der schon mit verschiedenen anderen CAM-Systemen gearbeitet hat. Sie erlaubt es den Anwendern Kollisionsprobleme schon gleich bei der Programmierung zu erkennen und zu vermeiden, mit dem Resultat, dass sie zuverlässigere NC-Programme an die Maschine schicken. Mithilfe eines grafischen Ablaufdiagramms können sie auch die zeitliche Abfolge der Bearbeitungsoperationen an Spindel und Gegenspindel simulieren, um sie so zu verteilen, dass die Maschinenlaufzeit minimiert wird. "Das haben wir natürlich auch früher schon gemacht, aber eben erst beim Einfahren der Programme, so dass die Maschinen oft stundenlang stillstanden", sagt Spuler. "Der Einsatz von TopSolid trägt also nicht unbedingt zur Verkürzung der Maschinenlaufzeiten bei, wohl aber zu einer höheren Verfügbarkeit der Maschinen, weil wir heute viel weniger Zeit für die Fehlersuche und Optimierung der Bearbeitungsprogramme benötigen." Das spart Kosten, was für ein Unternehmen in einem Hartwährungsland ein wichtiger Wettbewerbsfaktor ist. Auf ein Erstarken des Euros können unsere Eidgenössischen Nachbarn wohl sobald nicht hoffen. ee