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Treue im Detail
Gut und gerne vierzig Meter lang ist eine Extrusionsanlage von Profine. Denn um Kunststoffprofile zu extrudieren, sind immer mehrere Werkzeuge erforderlich: Angefangen vom Düsenteil, das die Kontur des Profils und des Innenlebens vorgibt, über die Kalibrierung der Außenflächen und die Kühlstrecke im Vakuumtank mit Stützelementen bis zum Abzug und Zuschnitt. Dazwischen sitzt noch eine separate Einheit für die Postcoextrusion, die die Dichtungen aus einem anderen Material an die Profile anspritzt. Eine Herausforderung für die Werkzeugbauer bei Profine ist der wachsende Termindruck. "Bei den angeforderten kurzen Durchlaufzeiten können wir uns keine Fehler leisten", erläutert CAx-PLM-Engineer Frank Helbing. In der Vergangenheit konnte es passieren, dass Komponenten von Lieferanten nicht so zurückkamen, wie von der Konstruktion vorgegeben. Doch gerade diese Zusammenarbeit ist für die Firmengruppe wichtig, deren Hauptsitz Troisdorf ist und die weltweit produziert, in Deutschland an den Standorten Berlin und Pirmasens; in Pirmasens ist auch der Werkzeugbau angesiedelt. "Wir entwickeln Werkzeuge für viele Standorte und Marken der Gruppe", fährt Helbing fort. "Gefertigt werden die Werkzeugkomponenten dann zum Teil bei einer Firmentochter, zum Teil bei externen Lieferanten." Außerdem vergibt das Unternehmen je nach Komplexität der Anforderungen und freien Kapazitäten komplette Werkzeugsätze nach außen.
Durchlaufzeiten reduzieren
Eine weitere Herausforderung war die Systemlandschaft. Zwar modelliert man bei Profine die Werkzeuge seit 2005 in 3D, aber mit dem alten 3D-CAD-System I-Deas konnten nicht alle Details bis zum letzten Kühlkanal und Anzug effektiv abgebildet werden. Viele Einzelheiten wurden auf der Basis der Maßangaben und Textinformationen in der Zeichnung erst bei der Erzeugung der NC-Programme definiert. Das kostete nicht nur Programmierzeit, sondern führte gerade bei der Fremdvergabe von Fertigungsaufträgen immer wieder zu Fehlern und Missverständnissen. Die NC-Programmierer arbeiteten zudem mit vier verschiedenen CAM-Systemen, um die unterschiedlichen Fertigungsverfahren (Fräsen, Bohren, Gewindeschneiden, Schleifen, Draht- und Senkerodieren etc.) abzudecken. Aufbereitung und Übergabe der Konstruktionsdaten an die verschiedenen Insellösungen waren zeitaufwändig, nicht nur weil sie in das STEP- oder IGES-Format konvertiert werden mussten. Meist waren auch noch konstruktive Anpassungen oder Hilfskonstruktionen erforderlich, um die einzelnen Bearbeitungsschritte programmieren zu können. Bei nachträglichen Änderungen an den Konstruktionsdaten mussten die darauf aufbauenden NC-Programme oft ganz oder teilweise neu erstellt werden. Hinzu kam, dass die bestehenden Anwendungen den künftigen Anforderungen an die Bearbeitung in punkto 5-Achs-Simultanbearbeitung nicht gewachsen waren. "Wir standen also vor der Herausforderung, unsere Systemlandschaft zu konsolidieren und unsere Prozesse zu optimieren, um die Durchlaufzeiten weiter reduzieren zu können", erinnert sich Helbing, der das entsprechende Projekt im Werkzeugbau leitete.
21.000 Teile neu angelegt
Unklar war zunächst, ob man sich für zwei separate - aber preiswertere - Lösungen für CAD und CAM entscheiden sollte oder für die Integrationslösung eines der High-end-Anbieter. Helbing untersuchte deswegen im Rahmen eines Benchmarks verschiedene Systemlösungen und -kombinationen und entschied sich am Ende für das integrierte CAD/CAM-System NX von Siemens PLM Software. Dann musste die Systemeinführung vorbereitet werden. "So ein Projekt kann nur mit voller Unterstützung der zuständigen Abteilungsleitung und einem kompetenten Projektteam erfolgreich umgesetzt werden." Das Projektteam bestand aus Mitarbeitern der CAM-Programmierung, dazu stieß ein Kollege aus dem IT-Service-Bereich. Ausschlaggebend für die Systemwahl war übrigens nicht nur die Durchgängigkeit von CAD und CAM und die gute Unterstützung der in Frage kommenden Fertigungsverfahren einschließlich der 5-Achs-Simultanbearbeitung, sondern auch die Möglichkeit, den großen Bestand an Altdaten in der neuen Umgebung weiter verwenden zu können. Der 3D-Datenbestand von Profine umfasst Tausende von Baugruppen, die sich aus bis zu 1.500 Komponenten zusammensetzen können. "Am Ende haben wir allerdings weit weniger Daten migriert als ursprünglich vorgesehen", berichtet Frank Helbing, "weil die Anwender ihre Werkzeuge lieber gleich in NX neu aufbauten, um die Vorteile des Systems ausschöpfen zu können." Binnen zwei Jahren habe man auf diese Weise etwa 21.000 Teile neu angelegt. "Sogar unsere Lehrwerkstatt hat geholfen, Teile nachzumodellieren." Inzwischen liegen alle aktuellen Werkzeugdaten und Programme im CAD/CAM-System vor.
Hilfe von PLM-Lösungspartnern
Eine wichtige Rolle bei der Systementscheidung spielte auch die Unterstützung durch die im Adanos-Netzwerk zusammengeschlossenen PLM-Lösungspartner von Siemens PLM Software. Hier kooperieren die A+B Solutions GmbH, Dr. Wallner Engineering GmbH, Janus Engineering AG und BCT Technology AG. "Adanos bietet als Netzwerk den optimalen Support, da es verschiedene Kompetenzen bündelt", betont Helbing. Janus Engineering kümmerte sich um die Implementierung der CAM-Lösung, die Programmierung der Postprozessoren und die Anbindung des Maschinenparks - ein 3-Achs-Bearbeitungszentrum von Matec und verschiedene 3-Achs-Fräsmaschinen von Maho. Die Drahterodiermaschinen werden zur Zeit noch mit einem anderem CAM-System programmiert, sollen aber ebenfalls an NX-CAM angebunden werden. Nach Abschluss der CAM-Installation übernahm darüber hinaus BCT Technology die Regie, um das CAD-System in der Werkzeugkonstruktion einzuführen, die Anwender umzuschulen und sie bei der Definition von Vorlagen für die Automatisierung von bestimmten Konstruktionsschritten zu unterstützen. "Dass wir das CAM-Modul zuerst eingeführt haben, war dabei kein Nachteil", so Helbing weiter, "weil wir die I-Deas-Daten über XPK in NX-CAM einlesen konnten." Im neuen CAD/CAM-System sind die Systeme I-Deas und Unigraphics zusammengeführt worden. Für die Werkzeugkonstrukteure bedeutete der Umstieg von I-Deas auf das neue CAD/CAM-System von Siemens dennoch eine ziemliche Umstellung, weil sie sich eine andere Arbeitsmethodik aneignen mussten. "Dabei hat uns BCT gut unterstützt", so Helbing weiter. "In I-Deas geht man häufig vom Negativ aus und modelliert auch die Geometrie, die eigentlich abgezogen wird. In NX ist die Vorgehensweise oft genau umgekehrt: Das heißt, man konstruiert das Bauteil so wie es nachher gefertigt wird. Macht man das nicht, lassen sich die Vorteile der Feature-Technologie nicht bei der CAM-Programmierung nutzen." Etwa ein halbes Jahr dauerte es, bis die Konstrukteure ihre Werkzeuge genauso schnell wie vorher modellieren konnten - mittlerweile sind sie überzeugte Anwender und wollen das System nicht mehr missen.
Alle Details beschrieben
NX erlaubt darüber hinaus ein hohes Maß an Standardisierung bei der Werkzeugkonstruktion, was sich inzwischen auch zeitlich bemerkbar macht. Die Konstrukteure nutzen nicht nur das Normteil-Package von BCT, sondern sie haben auch eigene Bibliotheken im System angelegt. Außerdem haben sie einheitliche Vorlagen für Werkzeugplatten und andere häufig wiederkehrende Elemente wie zum Beispiel die Düsenstandards definiert, die sich über die Eingabe von wenigen Parameterwerten schnell anpassen lassen. "Dadurch sind wir bei der Werkzeugkonstruktion heute in Teilbereichen mindestens 20 Prozent schneller", sagt Helbing, der die Konstruktion durch so genannte User Defined Features (UDF) weiter automatisieren möchte. "Die Idee ist, ein komplettes Modul für die Kalibrierung so intelligent aufzubauen, dass man es auf Knopfdruck in eine Konstruktion einbetten kann, die sich entsprechend anpasst." Ein wesentlicher Vorteil gegenüber der früheren Arbeitsweise ist, dass heute alle Details und fertigungsrelevanten Informationen am 3D-Modell unmissverständlich beschrieben sind. "Wenn sie ein mit NX modelliertes Werkzeug an die Fertigung oder einen externen Partner schicken, können sie sicher sein, dass der Datensatz alle Werkzeuganforderungen beinhaltet und damit die Basis für eine qualitativ hochwertige Fertigung legt", betont der Projektleiter. Das Mastermodell des Werkzeugs entspreche eins zu eins dem späteren Produkt. "Dadurch sind wir bei der Fremdvergabe von Fertigungsaufträgen viel flexibler geworden und nicht mehr zwingend auf die Zusammenarbeit mit bestimmten externen Partnern angewiesen, die unsere Anforderungen genau kennen", sagt Helbing. In der eigenen Fertigung kommt Profine heute mit wenigen Zeichnungen aus beziehungsweise man nutzt die Zeichnung nur noch als Hilfe für die Visualisierung. Weitere Effizienzsteigerungen im Konstruktionsprozess versprechen sich die Werkzeugbauer vom Umstieg ihrer Kollegen in der Produktentwicklung auf das neue CAD/CAM-System. Heute bekommen sie als Grundlage für ihre Werkzeugkonstruktion lediglich eine DXF-Datei mit der Kontur des Profils. Wenn die Produktentwickler ihre Kunststoffprofile ebenfalls mit NX modellieren würden, ließe sich das 3D-Profilmodell direkt in die Werkzeugbaugruppen einbetten. Dank der Assoziativität zwischen Produkt- und Werkzeugkonstruktion könnte man weitere Schnittstellen und Fehlerquellen im Prozess abschaffen und die Reaktionszeit der Werkzeugänderung beschleunigen.
Für künftige Anforderungen gewappnet
Der Einsatz der durchgängigen CAD/CAM-Lösung im Werkzeugbau hat bei Profine zu Zeiteinsparungen bei der NC-Programmierung geführt, weil die Anwender direkt auf die definierten Konturen, Bohrungen, Taschen, Anfasungen und andere Features zugreifen können. Die Software erkennt die Features automatisch und macht entsprechende Vorschläge für ihre Bearbeitung. Die Anwender nutzen zur automatisierten NC-Programmierung den Technologiemanager von Janus Engineering, und sind mittels der Template-Technologie in der Lage, bestimmte Bearbeitungszyklen - beispielsweise für das Fräsen von Anzügen und Taschen - dem zu bearbeitenden Element zuzuweisen. Helbing schätzt, dass sich die Programmierzeiten um mindestens 30 Prozent reduziert haben. "Dank der durchgängigen Prozesskette sind wir bei der internen Fertigung schneller als wenn wir sie an externe Partner vergeben, weil wir die NC-Programme bei kleineren Änderungen auf Knopfdruck aktualisieren können." Wenn die Komponenten extern gefertigt werden, müssen sie bei Änderungen oft neu erstellt werden, weil die Lieferanten die Komponenten nicht mit den NC-Programmen abliefern. Die Qualität und Zuverlässigkeit der NC-Programme hat ebenfalls zugenommen, weil die Anwender die Aufspannung und Palettensysteme auf Knopfdruck zuschalten können. Das erlaubt eine relativ realitätsnahe Simulation der Bearbeitung bis hin zur Kalkulation der Bearbeitungszeiten. Sie sind im Übrigen auch kürzer geworden, da das System den Materialabtrag erkennt, was bei Werkzeugwechseln kürzere Verfahrwege ermöglicht. Ein weiterer Vorteil der integrierten CAD/CAM-Lösung ist, dass Profine für die künftigen Anforderungen im Bereich der Fertigung gewappnet ist. So können nicht nur die Erodiermaschinen mit NX-CAM angesteuert werden. Die CAM-Software würde auch die Anbindung eines Bearbeitungszentrums für das High-Speed-Fräsen mit fünf Achsen unterstützen, um die Oberflächen der Werkzeuge gleich in der gewünschten Qualität finishen zu können und nicht mehr schleifen zu müssen. Helbing abschließend: "Das würde unsere Bearbeitungs- und Änderungszyklen noch einmal drastisch verkürzen." Außerdem ist man bei Profine jetzt dabei, unternehmensweit die PDM-Lösung Teamcenter unter der Federführung von BCT einzuführen. Die Ziele sind auch hier klar formuliert: Abbildung des kompletten technischen Prozesses und die unternehmensweite Bereitstellung aller technischen Produktinformationen für alle Standorte weltweit. Michael Wendenburg, Freier Fachjournalist / ee