Schneller serienreif
Filigranes für die Intensivmedizin spritzgießen
Die im März des Jahres losgebrochene Pandemie hat bei vielen Herstellern medizintechnischer Geräte zu sprunghaft steigender Nachfrage geführt. Mit verschiedenen Maßnahmen fuhr ein Spritzgießer in kurzer Zeit die Kapazitäten auf ein Mehrfaches hoch – ohne Einschränkungen hinsichtlich der im Medizinbereich erforderlichen, qualitätsbestimmenden Randbedingungen in der Produktion.
Beatmungsgeräte unterscheidet man je nach Einsatzbereich. Die verbreitetsten Typen sind Notfall- oder Transportrespiratoren, Heimrespiratoren und Intensivrespiratoren. Den für die Langzeitbehandlung geeigneten Intensivrespiratoren kommt während der Corona-Krise besondere Bedeutung zu und wurden stark nachgefragt. Die Bundesregierung erteilte verschiedenen deutschen Herstellern den Auftrag zum Bau von insgesamt 20 000 Geräten, um die Versorgung aller Notfallpatienten sicherzustellen. Die hohe Stückzahl und die Dringlichkeit der Anfrage brachten Hersteller und Zulieferer an ihre Kapazitätsgrenzen.
Mit dem Großauftrag der Bundesregierung stieg auch bei der Reiter HG Geiger Kunststofftechnik in Hilpotstein die Nachfrage nach Bauteilen wie Adaptern zur Atemgasaufbereitung sprunghaft. Im Vergleich zum Vorjahr meldete das Unternehmen eine Steigerung bis 400 Prozent. Die Produktionszahlen wurden innerhalb weniger Tage gesteigert, um die Nachfrage zu bewältigen. Reiter verfügt über Expertise in verschiedenen Produktbereichen, sodass unterschiedliche Bauteile angefragt wurden. Das Portfolio des fränkischen Unternehmens reicht von Temperaturmesstüllen und Frischgasmesstüllen, die in der Sensortechnik zur Überwachung des Patienten in der Anästhesiephase benötigt werden, über Füll- und Anschlussadapter zur Vermeidung von Verwechslungen von Anästhesiemitteln bis zu komplexen Ventilbaugruppen zur Atemgassteuerung. Die Komponenten werden auch zur Erfassung von Messwerten sowie der Steuerung und Regelung von Atemluftströmungen eingesetzt, die speziell bei Corona-Patienten permanent überwacht werden müssen.
Kritischer Punkt beim schnellen Hochfahren der Produktion war das Funktionieren der Lieferkette. Bauteile wie Dichtungen oder Federn werden zugekauft. Dank der jahrelang guten Zusammenarbeit mit Lieferanten sei es schnell möglich gewesen die Fertigungszahlen dem Bedarf anzupassen.
Qualitätsstandards auch unter Zeitdruck
Hinter der Herstellung der Baugruppen steht allerdings ein komplexer Prozess. So wird für jedes Bauteil ein eigens Spritzgießwerkzeug benötigt und die ideale Fertigungsstrategie muss frühzeitig festgelegt werden. Hier gibt es zahlreiche Einflussfaktoren wie Werkstoffe, Einsatzgebiet und anschließende Weiterbearbeitungsschritte zur Baugruppenkomplettierung. Das Werkstoffspektrum reicht von Hochtemperaturkunststoffen wie Polyetheretherketon (PEEK), das bei Temperaturen bis 260 Grad Celsius gute mechanische Eigenschaften aufweist, bis zu Polyphenylensulfid (PPS), das hohe chemische Beständigkeit aufweist. Weitere typische Werkstoffe sind Polyarylsulfone (PSU) und Polyphenylsulfon (PPSU), die über hohe Hydrolysestabilität verfügen und somit eine Sterilisation der Bauteile im Autoklaven ermöglichen. Komplexen Geometrien und engen Fertigungstoleranzen sind typisch. Auch die Fertigungstoleranzen zugekaufter Komponenten müssen im Vorfeld definiert und im Herstellungsprozess ausgeglichen werden.
Trotz des enormen Drucks, ausgelöst durch die hohe Nachfrage und die Knappheit an Bestandsgeräten in den Krankenhäusern, mussten die Produkte hohen Qualitätsanforderungen entsprechen. Um das sichere Funktionieren der Komponenten sicherzustellen, gelten auch für alle nachgelagerten Verarbeitungsschritte wie Ultraschall- und Laserschweißen, sowie mechanische Bearbeitungen hohe Qualitätsstandards. Die Filigranität der Komponenten sowie die Komplexität der daraus gebildeten Baugruppen macht in weiten Teilen eine manuelle Endfertigung erforderlich. Dies betrifft die Vormontage kleiner Baugruppen und die Montage umfassender Systembaugruppen. Die hohen Qualitätsanforderungen an die Produkte, die auch bereits vor der Corona-Krise gültig waren, machen außerdem eine lückenlos dokumentierte 100-Prozent-Funktionsprüfung der Komponenten mit komplexen Prüfautomaten notwendig. Montage und Prüfungen finden im Sauberraum statt, um die technische Sauberkeit der Produkte nach ISO 16232 sicherzustellen. Es sei gerade in der Endmontage wichtig, die Balance zwischen Automatisierung und manuellen Arbeitsschritten zu finden. Das Zusammenlagen von Montage und Werkstückprüfung in einem Arbeitsschritt vermeidet, dass Fertigungslose von Baugruppen bei der Endabnahme übersehen werden. Auf diese Weise lässt sich der hohe Qualitätsstandard der Produkte unter anderem für die Herstellung von Intensivrespiratoren sicherstellen.
Das Unternehmen
Reiter HG Geiger Kunststofftechnik mit Standort Hilpoltsteinist eines von drei Unternehmen der Geiger Gruppe. Die Hans Geiger Formenbau sowie die Hans Geiger Spritzgießtechnik sind am Hauptstandort im fränkischen Nürnberg angesiedelt. Gegründet wurde das Unternehmen 1961 als Formenbaubetrieb von Hans Geiger. 1968 kam der Bereich Spritzgießen hinzu. Damals konzentrierte man sich besonders auf die Sparten Spielzeug und Fotografie, bevor auf Kundenwunsch auch die Kunststofffertigung in Angriff genommen wurde. Heute ist das Unternehmen spezialisiert auf die Herstellung komplexer Bauteile in hoher Qualität. Zu den Kunden des Unternehmens zählen international bekannte Elektronik- und Automobilhersteller.