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Von Chatanooga nach Pankow

Schon die erste Lok einer neuen Baureihe muss einsatzreif sein und perfekt funktionieren. Deshalb ist der digitale Prototyp besonders wichtig, um alle Fehler und Schwächen vor dem Bau auszumerzen. Die Vossloh Locomotives GmbH blickt auf eine lange Historie im Bau von Lokomotiven zurück. Seit 2005 konstruieren die Kieler ihre neuen Lokomotivbaureihen mit Autodesk Inventor.

Mit Inventor konstruiert: Dreiachsige Standardlokomotive G12-6 C, Fahrerkabine im Schnitt

Nicht immer wird der Bahnbetrieb so politisch brisant betrachtet wie in Udo Lindenbergs bekannter Adaption des Glen Miller Songs. Lang, lang ist´s her. Doch oft ist der Bahnbetrieb Teil der öffentlichen, nationalen Infrastruktur. Das bedeutet Restriktionen bei der Zulassung und langwierige Prozesse für den Zugang zu den Märkten, selbst innerhalb der EU. Strengere Abgasvorschriften oder Regelungen bezüglich der Crash-Sicherheit stellten in jüngster Zeit neue Anforderungen an die Entwickler und führten zu neuen Lokomotivbaureihen. Im Übrigen werden neue Projekte und Entwicklungen oft durch einzelne Kunden initiiert und führen zu Aufträgen für Sonderfahrzeuge, gelegentlich zu Kleinserien und zu Folgeaufträgen, wenn sich ein neues Modell bewährt und durchsetzt.

Die Vossloh Locomotives blickt auf eine lange Historie im Bau von Lokomotiven zurück. Seit 1923 werden am Standort in Kiel Schienenfahrzeuge mit Verbrennungsmotoren gebaut, lange Zeit unter den traditionsreichen Namen Krupp und MaK, seit zehn Jahren unter dem grünen Signet der Vossloh-Gruppe. Mit seiner Erfahrung und Kompetenz erarbeitete sich das Unternehmen die führende Position auf dem europäischen Markt für Dieselloks. Im Betrieb bewährte Technologie, innovative Anpassungen, Typenvielfalt, Wirtschaftlichkeit, Umweltfreundlichkeit und umfassender Service waren die Voraussetzung für den Erfolg in schwierigen Märkten.

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Zentrale Steuerung über SAP
Seit Anfang der neunziger Jahre konstruieren die Lokomotivenbauer mit Autodesk-Software. AutoCAD war das erste 2D-CAD-System im Haus. Im Jahr 2005 entschied sich Vossloh für die Verwaltung der Konstruktionsdaten im SAP-System. Damals arbeitete die Konstruktion noch überwiegend mit der 2D-Software. Erste Schritte in Richtung 3D-CAD unternahmen die Kieler damals mit Autodesk Mechanical Desktop. Die 2D-Zeichnungsverwaltung lief vorher auf einem anderen System. 50.000 2D-CAD-Zeichnungen wurden im selben Jahr in SAP übernommen. Gleichzeitig legten die Lokomotivenbauer die Grundlagen für eine zweckmäßige Verwaltung der 3D-Konstruktionsdaten. Seither unterliegen alle Produktdaten der Hoheit des SAP-Systems. Die Konstrukteure greifen ausschließlich über SAP und die SAP-PLM-Schnittstelle auf die Konstruktionsdaten zu. Auch aus 3D-Modellen entstehen immer 2D-CAD-Fertigungszeichnungen, diese erhalten eine Materialnummer und werden über die CAD-Schnittstelle integriert und in SAP verwaltet.

Umstellung mit Hilfe von Cideon Systems
Bei der Einführung der SAP-PLM-Schnittstelle half der Autodesk-Partner Cideon Systems, der Entwickler dieses SAP-Moduls. Von diesem Partner bezog Vossloh auch seine Plotmanagement-Software, eine effiziente Lösung für die Konstrukteure und die Fertigung, um bequem komplette Zeichnungssätze in Papier zu erzeugen. Wenn Fertigungspapiere für einen Auftrag vorzubereiten sind, läuft heute automatisch ein Druckprozess an, der alle Dokumente, die für den Fertigungsauftrag notwendig sind, zusammensucht und gemeinsam auf einen Drucker sendet. Aus den frühen Investitionen in AutoCAD ergaben sich die weiteren Schritte in Richtung 3D-Konstruktion, zunächst mit Autodesk Mechanical Desktop, ab 2005 mit Autodesk Inventor. "Wir wollten das vorhandene Know-how weiter nutzen und nicht wieder von vorne anfangen", erklärt Raymond Renner, IT-Leiter bei Vossloh Locomotives. "In der 3D-Konstruktion sahen wir die Möglichkeit, vom elektronischen Zeichenbrett weg und zu einem digitalen Prototyp zu kommen, an dem wir die Qualität unserer Konstruktionen schon frühzeitig beurteilen können. Wir wollten Fehler vermeiden, die sonst erst in der Fertigung erkannt werden und zu Verzögerungen und zusätzlichen Kosten führen."

Entscheidung für Inventor
Vossloh entschloss sich zur Einführung des Pakets Autodesk Inventor Suite als Basis für seine digitale Entwicklung, das sowohl die AutoCAD 2D- als auch die Inventor 3D-Software enthält. "Da wir über ein großes Archiv von 2D-Konstruktionen verfügen, brauchten wir weiter die Möglichkeit mit diesen 2D-Daten zu arbeiten oder Änderungen durchzuführen", so Renner. "Wir haben unsere Konstruktion nicht flächendeckend von einem Tag auf den anderen von 2D auf 3D umgestellt. Die Schulung und Einführung erfolgte Zug um Zug, unterstützt vom Partner CIDEON Systems. Es begann so, dass einige wenige Konstrukteure in einem neuen Projekt den Hauptentwurf einer Lokomotive in Inventor durchführten, bis in die Einzelteile herunter, und so wurden immer mehr Leute involviert, die dann entsprechend mit dem 3D-System arbeiteten", erläutert Renner. "Der erste große Schritt, die Umstellung der Datenverwaltung auf SAP, fand vorher statt und war zu diesem Zeitpunkt schon vertraut." Und Tim Hildebrandt, Gruppenleiter Entwicklung und Standardisierung, ergänzt: "Die Mitarbeiter arbeiteten sich sehr schnell in Inventor ein. Auch Kollegen, die von SolidWorks oder anderen Systemen kamen, stellten sich rasch um und sind heute mit Inventor glücklich. Nach wenigen Tagen Training waren sie produktiv. Allerdings bietet Inventor so viele Möglichkeiten, um eine Aufgabe durchzuführen, dass wir Regeln einführten, um jeweils den besten Weg vorzugeben, um unsere Aufgaben zu erledigen. Diese Richtlinien haben wir inzwischen in einem Handbuch zusammengefasst. Beispielsweise gibt es Kaufteile im Inventor-Format von Lieferanten, die sehr detailverliebt modelliert sind, aber die Performance unseres Systems unnötig belasten. Wir lassen diese Teile nicht zu, sondern modellieren sie komplett nach unseren Vorgaben nach, damit unsere Arbeit nicht beeinträchtigt wird". 38 Inventor- und 12 Autodesk Inventor Professional-Lizenzen sind inzwischen bei Vossloh im Einsatz. Ein CAD-Administrator und einige qualifizierte "Key User" sind erste Ansprechstation bei Anwenderproblemen. Sie sind auch die Schnittstelle zur Hotline von CIDEON Systems, die bei Problemen rasch reagiert und kompetent weiterhilft. Erfreulicherweise ergab sich in dieser Einführungsphase ein großes neues Projekt, eine neue Baureihe, die komplett in Inventor durchgeführt werden konnte. Bei dieser Gelegenheit setzten die Kieler viele vorhandene Komponenten, die nur als 2D-Zeichnungen existierten, als 3D-Modelle in Inventor um. So erhielt die 3D-Konstruktion bei Vossloh einen großen Schub.

Effiziente Prozesskette für Blechteile
Durch eine enge Verbindung von Konstruktion und Fertigung versucht Vossloh Aufwand und Kosten zu reduzieren. Das gelingt bereits sehr gut für den Bereich Blechkonstruktion und -fertigung. Die mit Inventor abgewickelten Blechteile gehen direkt an die Fertigung. Vossloh beschränkt sich in der eigenen Fertigung auf das Laserschneiden und Schweißen und deckt damit einen großen Teil des Teilespektrums ab. Rund ein Viertel aller Teile einer Lokomotive sind Blechteile. Die Prozesskette bis hin zum Laserschneiden erweist sich dabei als besonders ökonomisch, da sie viele Arbeitsgänge einsparen hilft. Alle anderen Fertigungsaufgaben gibt die Firma an externe Partner.

Höhere Qualität in der Konstruktion
"Die 3D-Konstruktion bringt uns sehr viel Nutzen: Wir erkennen Probleme rechtzeitig und die Qualität der Produkte, die anschließend gefertigt werden, ist in der Regel deutlich höher als früher bei einer 2D-Konstruktion", erläutert Hildebrandt. Als weiteren Vorteil sieht er, dass er neue Konzepte und Ideen besser kommunizieren kann, den Kunden auch Produkte realitätsnah vorstellen kann, bevor sie gefertigt sind. Vossloh Locomotives nutzt die Rendering-Möglichkeiten, die Inventor bietet, um neue Produkte für die Kunden zu visualisieren. Das DWF-Format und der DWF-Viewer spielen für diese Aufgaben eine wichtige Rolle. Auf einem Notebook kann Hildebrandt die Modelle mitnehmen und bei Kunden oder Partnern vorzeigen. "Wir benutzen DWF sehr häufig für Präsentationen und Besprechungen intern und extern bei Kunden. Wenn wir beispielsweise mit dem Kundendienst ein Fahrzeug besprechen und diskutieren, was ist neu, was hat sich ändert, so geht das viel schneller mit einer DWF-Präsentation in 3D. Es ergibt sich rasch ein gemeinsames Verständnis dessen, worum es eigentlich geht, wenn alle auf eine 3D-Konstruktion blicken. Die Besprechungen kommen schneller zu einem Ergebnis und alle Beteiligten sparen Zeit", stellt Hildebrandt fest. Die Mitarbeiter arbeiten deshalb auch gerne mit Inventor.

Digitaler Prototyp reduziert Risiken
Raymond Renner ergänzt: "Es gibt keine Null-Serie oder einen physischen Prototyp bei uns. Auch bei einer neuen Baureihe muss die erste Lokomotive bereits einsatzreif fahren. Natürlich erfahren die nachfolgenden Lokomotiven, die nach der ersten gebaut werden, Änderungen. Und das ist wiederum in Inventor alles viel einfacher zu realisieren: Kundenwünsche, technische Verbesserungen, Varianten usw. Aber wir wollen auf keinen Fall, dass eine Lokomotive hinterher nutzlos bei uns auf dem Hof steht. Wir reden ja bei solchen Projekten über zwei bis drei Millionen Euro, die eine Lokomotive kostet. Deshalb ist ein perfekter digitaler Prototyp für uns so immens wichtig. Er gibt uns die Sicherheit, dass das fertige Produkt auch so funktioniert wie wir uns das ausgedacht haben".

Dr. Philipp Grieb / ee

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1.8 MB
ProduktbroschüreAutodesk Inventor Professional 2009
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