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Wenn der Groschen fällt
Seit einigen Jahren schon ist das Lasersintern von Kunststoff als Fertigungsmethode für Serienbauteile im Gespräch. Das wird auch auf der diesjährigen Euromold so sein. Ein Durchbruch auf breiter Front ist dem generativen Schichtbauverfahren in diesem Bereich allerdings bislang versagt geblieben. Dabei ist das Potenzial eigentlich beeindruckend. Vor allem dem Sondermaschinenbau bringen die Gestaltungsmöglichkeiten große Wettbewerbsvorteile. Vorausgesetzt es wird entsprechend konstruiert und das Verfahren wird richtig angewandt.
Das Kunststoff-Lasersintern ist den Kinderschuhen entwachsen und sollte als ergänzendes Fertigungsverfahren genutzt werden - so die Überzeugung von Hannes Kuhn. Als solches verdiene es dieselbe Anerkennung wie die etwas älteren Verfahren des Laserschneidens, Erodierens oder Wasserstrahlschneidens, meint der Gründer und Geschäftsführer des Unternehmens Kuhn-Stoff. 85 Prozent seiner Teile produziert der Dienstleister per Kunststoff-Lasersintern direkt für den Endverbrauch. Seit sechs Jahren konstruiert und fertigt er vor allem Brückenteile für den Sondermaschinenbau, denn hier bringt die additive Fertigung einen enormen Wettbewerbsvorteil. "Ein bis drei Prozent der Teile in einer Sondermaschine machen den Unterschied zur Konkurrenz aus", betont Kuhn. "Genau bei diesen Teilen, die individuell für jede Maschine in Stückzahlen zwischen Eins und 50 gemacht werden, kann man mit der additiven Fertigung Grenzen sprengen", begeistert er sich - etwa weil man nun einen Membranzylinder oder in einem drei Millimeter mm dicken Material eine Düse von 0,8 mm Durchmesser integrieren könne, die sich sonst gar nicht herstellen ließen. Dass noch mehr Nutzer das Potenzial des Lasersinterns erkannt haben, davon zeugten auch dieses Jahr viele Exponate auf der Montage- und Handhabungstechnik-Messe Motek. So waren auf den Ständen vieler Marktführer der Sondermaschinentechnologie - zum Beispiel bei Festo, Schunk Spanntechnik, Kuka oder Igus - additiv gefertigte Teile zu sehen, die für den Endverbrauch gedacht sind. Vor allem im Bereich Luftführungen, Sensorhalterungen, Düsen oder Greifer gebe es Tausende von Ansatzmöglichkeiten, meint Hannes Kuhn.
Dabei geht es ihm nicht darum, bestehende und funktionierende Lösungen für die additive Fertigung umzukonstruieren. Es mache auch keinen Sinn, Normteile zu ersetzen oder ein Frästeil 1:1 zu übernehmen und dann additiv zu fertigen. Das bringe nur Nachteile - etwa eine höhere Toleranz oder eine schlechtere Oberfläche. "Aber denken Sie bei einer Neuentwicklung mal anders", fordert Kuhn auf. "Wie wäre es mit folgender Herangehensweise: Wir haben diese und jene Anschlussstelle und dazwischen lassen wir ein Teil wachsen." Sei bisher etwa an einer Stelle neben einer Sensor- eine Kabelhalterung angedacht - kombiniert mit vier Kabelbindern für Druckluftschläuche - dann könne man all diese Teile integrieren und das Bauteil sogar so auslegen, dass die Druckluft hindurchfließen könne. ¿Doch das setzt eine ganz andere Konstruktionsweise voraus - man darf dann nicht von einem Aluminium-Block ausgehen und losfräsen", sagt Kuhn. Und genau darin liege das Problem: Prinzipiell könne jeder, der 3D-CAD anwende, die Technologie direkt nutzen, versichert der selbst aus der Blechverarbeitung kommende Konstrukteur. "Aber nur wenige Konstrukteure können so anders denken und erfassen sofort die weitreichenden Möglichkeiten." Der Schritt vom Stanzen zum 2D-Laserschneiden sei vergleichsweise einfach gewesen. Auf einmal konnte man völlig unabhängig von irgendwelchen Werkzeugen Teile einfach so ausschneiden. "Aber das Ganze war nur eine 2D-Linie und jeder hat sofort die Vorteile erkannt - und konnte ohne Mehraufwand die neue Technologie nutzen", erinnert sich Kuhn. "Bei der generativen Fertigung muss man in drei Dimensionen komplett neu denken. Das ist ein sehr, sehr großer Schritt, der nicht so einfach handzuhaben ist." Aufgrund vieler Gespräche schätzt der Lasersinter-Fan, dass nur ein bis drei Prozent der Konstrukteure in der Lage sind, nach dem ersten Kontakt mit dieser Technologie eigene Anwendungsbeispiele zu finden. "Von diesen wenigen kommt dann drei bis vier Wochen später ein Datensatz, dem man genau ansieht: Hier ist der Groschen gefallen!", freut er sich. Diese Konstrukteure würden oft zu richtigen Stars in ihren Firmen und lösten Nachahmungseffekte aus. Es lohne sich aber auch für alle anderen, sich an die Technologie heranzuwagen und durch kleine Schritte Erfahrungen zu sammeln, selbst wenn vor allem Kunststoff-Unternehmen vielleicht vor 15 Jahren durch den Kontakt zur Stereolithographie vergrault wurden. Wer sich dem Lasersintern nicht zuneige, laufe in manchen Branchen sogar Gefahr, für den Markt uninteressant werden - so wie jene Konstruktionsbüros, die nicht bis spätestens 1995 ihre Zeichenbretter gegen CAD-Arbeitsplätze eingetauscht hatten. "Ich denke, dass neben vielen A0-Druckern, die damals Ähnliches gekostet haben, bald schon ein 3D-Drucker steht, weil die Vorteile nicht mehr von der Hand zu weisen sind. Man kann die Teile begreifen."
Nach Kuhns Erfahrungen gilt in vielen Unternehmen bei allen neuen Methoden: Erst wird belächelt, dann bekämpft und dann angewandt. "Die meisten befinden sich noch in der Phase zwischen Belächeln und Bekämpfen." Doch je mehr Leute Kontakt mit der additiven Fertigung haben, desto schneller wird sie industriell eingesetzt. Und, so ist er überzeugt: "Wir alle werden in 20 Jahren mit den Ohren schlackern, was aus der Technologie geworden ist, weil wir uns das heute noch nicht mal ansatzweise vorstellen können." Bei Firmen wie Festo und EADS gehört das Lasersintern schon zum Alltag, und auch der Zentrifugenhersteller Hettich setzt seit gut fünf Jahren gesinterte Teile erfolgreich in der Serie ein. Er konnte den Zentrifugeneinsätzen, die sehr hohe Rotationsgeschwindigkeiten aushalten müssen, durch die additive Fertigung in extremer Weise andere Formen geben - und sie sogar mit dem Kundennamen individualisieren. Selbst wenn es noch enorme Defizite im Wissen über die Langzeitstabilität lasergesinterter Teile gibt, bieten sich gerade Handlingspezialmaschinen aufgrund ihrer relativ kurzen Lebenszeit als Einsatzorte an. "Viele Firmen nutzen dort schon gesinterte Teile", berichtet Kuhn. "Sie wissen genau, vielleicht sind die in acht bis zehn Jahren kaputt, aber sie bringen uns jetzt einen so immensen Vorteil, dass wir das nicht außer Acht lassen können." Viele seiner Kunden lassen bei ihm etwa Handlingeinsätze für ihre Roboter bauen. Da diese Einsätze viel leichter sind - wenn auch vielleicht nicht so stabil - reicht jetzt oft ein 2,5-Kilogramm-Roboter, wo bisher eine 6-Kilo-Variante nötig war. "Selbst wenn der Handlingeinsatz dann teurer ist als ein traditionell gefertigter, wird die Gesamtanlage dadurch erheblich günstiger", gibt Kuhn zu bedenken. Im Kunststoffsektor mache es derzeit jedoch meist keinen Sinn, Teile mit größeren Abmessungen als 250 x 250 x 250 Millimeter sintern zu wollen, denn die werden aufgrund des hohen Materialverbrauchs einfach zu teuer. Der Werkstoffpreis liege noch um den Faktor 10 bis 15 höher als bei Spritzgussgranulaten. Doch auch hier lohnt es sich die Frage zu stellen, ob das Teil so groß ist, weil es eine Funktion hat, oder ob damit nur Distanz überbrückt werden muss, was sich vielleicht anders lösen ließe. Als ein Problem sieht Kuhn noch die derzeit verfügbaren CAD-Systeme. "In der Designschiene gibt es schon Lösungen mit mehr Freiheiten, nur fliegen einem die Datensätze leider oft um die Ohren, wenn man dort genaue Maße angeben möchte", berichtet Kuhn. Noch fehlten Upgrades der CAD-Hersteller, um wirklich Freiformflächen-Design mit topologischen Anomalien zu ermöglichen. "Das muss alles noch wachsen."
Monika Corban, Freie Fachjournalistin/ms