Adaptive Konzepte für die additive Fertigung

Daniel Schilling,

Modellbasierte Optimierung

Roboter mit erweitertem Freiheitsgrad erleichtern die additive Fertigung von Betonteilen, doch vor dem industriellen Einsatz müssen noch einige grundlegende Probleme gelöst werden.

Versuchsfeld für die additive Fertigung von Betonbauteilen mit Hilfe von Fertigungsrobotern. © match

Nachhaltigkeit, Effizienz und Digitalisierung gelten als Maßstäbe für moderne Fertigungsprozesse und gehen einher mit einer positiven Produktivitätsentwicklung in weiten Bereichen des produzierenden Gewerbes. Für die Umsetzung dieser Grundsätze innerhalb eines der größten deutschen Wirtschaftszweige fehlen dem Bauwesen jedoch neue Schlüsseltechnologien. Bisher bewährte Herstellungsverfahren sorgen, in Ermangelung neuer Konzepte, für eine stagnierende Produktivität und einen hohen Ressourcenbedarf. Insbesondere der erhebliche Nachbearbeitungsaufwand zur Integration von Versorgungstechnik und ein hoher Anteil an manuellen Tätigkeiten stellen signifikante Optimierungspotenziale dar.

In Anlehnung an aktuelle Entwicklungen zeigen additive Fertigungsverfahren hier eine geeignete Lösung, um den drei genannten Herausforderungen langfristig zu entgegnen. Im Rahmen des seit 2020 von der DFG geförderten Sonderforschungsbereiches TRR 277 werden daher die Grundlagen zur Befähigung additiver Fertigungsverfahren für den Einsatz im Bauwesen untersucht. Der Forschungsschwerpunkt am Institut für Montagetechnik (match) liegt im Rahmen des TRR 277 auf der Entwicklung adaptiver Bahnplanungs- und Regelungskonzepte für die additive Fertigung von Betonbauteilen unter Verwendung industrieller Roboter mit erweitertem Freiheitsgrad. Die Nutzung derartiger Robotersysteme bietet dabei neue Möglichkeiten zur Erweiterung des Arbeitsraums und zur Kollisionsvermeidung. Im gleichen Zuge ergeben sich jedoch neue Forschungsfragen auf den Gebieten der Steuerung und der Regelung. Insbesondere eine konstante Bahngeschwindigkeit sowie die Erzeugung reproduzierbarer Pfade zwischen zwei Zielpunkten bilden einen Hauptaspekt der Entwicklungen am match.

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Zusätzlich werden Methoden zur Integration des dynamischen Materialverhaltens frischer Betone in die Bahnplanungsalgorithmen untersucht. Erste Ansätze fokussieren dabei eine A-priori-Optimierung durch die Kopplung eines Finite-Element-Modells an den Bahnplaner. Auf Basis eines initialen Druckpfades werden hierbei die Verformungen, unter Berücksichtigung des zeitabhängigen Materialverhaltens, während des Fertigungsprozesses simuliert und anschließend minimiert. Für die additive Fertigung mit Beton stehen dabei zwei Kompensationsmechanismen zur Verfügung. Der erste Mechanismus bedient sich der gezielten Adaption der Stranggeometrie. Dazu wird der Strangquerschnitt des bodennah applizierten Materials derart eingestellt, dass sich erst durch die Belastung aus darüber liegenden Schichten die finale Form ergibt. Der zweite Mechanismus greift über die Beimischung von Aushärtbeschleuniger in das Materialverhalten ein. Beide Kompensationsmechanismen setzen, um endkontournah fertigen zu können, eine gezielte Einstellung der Stranggeometrie voraus, wodurch zwangsweise ein geeignetes Modell für die Zusammenhänge zwischen Prozessparametern und Prozessergebnis erforderlich ist. Bisherige Untersuchen zeigen hier, dass empirische Modellansätze deutlich robuster einsetzbar sind als analytische Beschreibungsmethoden.

Die im Bauwesen typischen Bauteildimensionen sowie die Fertigung auf der Baustelle verursachen über die Produktionsdauer variierende Umgebungsbedingungen. Im Zuge dessen stellt die hohe Sensitivität der Materialeigenschaften gegenüber Temperatur- und Luftfeuchtigkeitsschwankungen eine spezielle Herausforderung für die Modellbildung und Prozessbeherrschung dar. Erste Untersuchungen zeigen, dass bei nicht klimatisierten Arbeitsumgebungen eine umfangreiche Kalibrierung des Prozessmodells vor jedem Fertigungsauftrag erforderlich ist. Die zusätzliche Integration eines, an baustellenähnliche Bedingungen angepassten, 2D-Laser-Profilsensors in den 3D-Druckkopf ermöglicht es, Profildaten des aufgetragenen Materials während des Druckprozesses zu erfassen. Die resultierenden Querschnittsdaten können in Kombination mit den aufgezeichneten Prozessparametern zur Online-Modelladaption genutzt werden und reduzieren den Kalibrierungsaufwand.

Lukas Lachmayer, M.Sc. / dsc

Kurz erklärt: Das match

Das Institut für Montagetechnik (match) der Leibniz Universität Hannover wurde 2013 mit der Berufung von Prof. Dr. Annika Raatz gegründet. Seitdem steht das match für innovative Grundlagenforschung im Bereich der automatisierten und robotergestützten Montage und Handhabung. Die wissenschaftlichen Arbeiten des Instituts lassen sich unter den Forschungsschwerpunkten robotergestützte Handhabungsvorgänge, innovative Robotersysteme für die Mensch-Roboter- oder Roboter-Roboter-Kooperation und Präzisionsmontageprozesse zusammenfassen.

Kurz erklärt: Der MHI e.V.

Die Wissenschaftliche Gesellschaft für Montage, Handhabung und Industrierobotik e.V. (MHI e.V.) ist ein Netzwerk renommierter Universitätsprofessoren – Institutsleiter und Lehrstuhlinhaber – aus dem deutschsprachigen Raum. Die Mitglieder forschen sowohl grundlagenorientiert als auch anwendungsnah in einem breiten Spektrum aktueller Themen aus dem Montage-, Handhabungs- und Industrierobotikbereich. Weitere Infos zur Gesellschaft, deren Mitgliedern und Aktivitäten: www.wgmhi.de

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