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„Wir müssen gut geschulte Mitarbeiter an den Maschinen haben“
CCR: Professor Gebhardt, in welchen Branchen wird schon viel generativ gefertigt?
Gebhardt: Einige Branchen haben die Verfahren sozusagen heimlich eingeführt. Unbeachtet von einer größeren Öffentlichkeit und von einem Teil der Fachöffentlichkeit werden inzwischen 85 Prozent plus der weltweit hergestellten Hörgeräteschalen generativ gefertigt. Das hat damit zu tun, dass es sich dabei um komplexe, absolute Einzelstücke mit inneren Strukturen handelt, Ventilations- und Resonanzkanälen, die vorzugsweise gekrümmt sind und solche Geometrien kann man eben nicht bohren. Auch die Medizintechnik ist ein riesiges Anwendungsgebiet. Der Grund ist die hohe Individualität der Bauteile; denn je näher man an den Menschen kommt, oder an die Mensch-Implantat-Schnittstelle, desto mehr muss auf die individuelle Geometrie des Patienten eingegangen werden. Weitere Anwendungen finden sich vor allem dort, wo niedrige Stückzahlen gebraucht werden, also in der Luft- und Raumfahrt, im Spezialmaschinenbau, Spezialfahrzeugbau – dort, wo sich die Herstellung komplexer Werkzeuge nicht wirtschaftlich realisieren lässt.
CCR: Besonders die Medizintechnik hat bisher angemahnt, dass die Reproduzierbarkeit noch nicht aus-reicht. Ist das inzwischen gelöst? Gibt es Materialien, die auch langzeitstabil genug sind?
Gebhardt: Ja, obwohl das einer der wunden Punkte ist. Die absolute Anzahl der zur Verfügung stehenden Materialien ist noch ein Defizit der Techniken. Ein Konstrukteur kann aus etwa 40.000 Kunststoffen auswählen. Beim Lasersintern sind es aber nur vielleicht zehn und darunter auch noch einige Exoten. Das zweite Manko ist die Reproduzierbarkeit, die mit dem Material gar nicht unbedingt etwas zu tun hat. Denn wenn ich heute ein Modell oben links im Bauraum baue und das gleiche nächstes Jahr unten rechts im Bauraum, bekomme ich leider immer noch nicht zweimal genau das gleiche Bauteil.
CCR: Gilt das für alle Verfahren; oder stehen ein paar besser da als andere?
Gebhardt: Das gilt im Grunde genommen für alle Verfahren. Bei kleinen Bauräumen ist das natürlich weniger ein Problem. Beim Umstieg auf eine Maschine mit einem größeren Bauraum muss ein Anwender aber zumindest damit rechnen, dass er zwei etwas unterschiedliche Bauteile bekommt, wenn er sie nebeneinander setzt oder ineinander verschachtelt. Da wir heute Bauteile immer bis an die Grenze auslegen, kann sich das schon auswirken. Zum Großteil hängt es aber auch davon ab, wer an der Maschine steht und wie genau er den Prozess beherrscht. Wenn wir gut geschulte Mitarbeiter an den Maschinen haben, entschärfen sich die Probleme.
CCR: Wo bekommt man die her?
Gebhardt: Es gibt Aktivitäten auf der Deutschen Rapid Manufacturing Plattform sowie eine Abteilung auf der EU-Plattform, die sich mit Ausbildung beschäftigt. Zudem haben sich der Deutsche Verband für Schweißen und verwandte Verfahren e.V. (DVS) und der VDI zusammengetan und den Fachausschuss 413-1 gegründet, der die Aufgabe hat, in Analogie zur Schweißfachkraft eine Fachkraft für generative Fertigung, einmal mit Schwerpunkt Kunststoff, einmal mit Schwerpunkt Metall, zu etablieren. Noch stehen diese Facharbeiter aber so nicht zur Verfügung. Grundsätzlich hat aber heute jeder Absolvent einer Uni oder Fachhochschule, ebenso wie Abgänger von Berufsschulen, zumindest einmal von den Techniken gehört.
CCR: Helfen günstige 3D-Drucker der Technologie auf die Sprünge?
Gebhardt: Durchaus, denn sie vermitteln einen sehr guten Einblick in die generative Technik. Sie sind aus meiner Sicht einer der Treiber der Technologie und ähneln den Atari Spielkonsolen der 1970er Jahre, die die Personal-Computer-Entwicklung mit in Gang setzten. Die Entwicklung wurde nicht von den Fachleuten vorangetrieben, sondern von den Pacman-Programmierern, die sich über diesen spielerischen Zugang die Werkzeuge selber geschaffen oder deren Schaffung angeregt haben. Sozusagen eine Evolution von unten. Das findet jetzt auch bei den generativen Verfahren statt.
CCR: Sie sagen, die neuen Medien helfen bei der Verbreitung der Technologien?
Gebhardt: Auf jeden Fall. Es gibt zum Beispiel Internetblogs. Dort werden Teile gebaut, die mehrheitlich aus der Sicht des Highend-Users, der die Maschinen hat, belächelt werden. Aber sie führen dazu, dass jemand sagt: „So etwas will ich auch machen.“ Inzwischen gibt es dort ganze Programmbibliotheken.
CCR: So kann man auch ohne eigene Anlage experimentieren?
Gebhardt: Ja, denn einen Ersatzknopf für meinen alten Braun-Mixer bekomme ich wohl nirgendwo mehr. Kann ich ihn aber selber CAD-konstruieren, kann ich ihn bei Fabberhouse oder einem anderen Dienstleister machen lassen. Stelle ich den Datensatz auch noch ins Netz und bekomme von jedem, der ihn herunter lädt, 75 Cent, dann kann ich meine reingesteckte Arbeit wieder amortisieren. Kein Hersteller wird für so etwas ein Spritzgusswerkzeug aktivieren, aus dem er dann mindestens 500 Stück rausholen müsste, die dann die nächsten 25 Jahre in einer Gitterbox lägen. Braucht man ein Teil irgendwo auf der Welt, kann man den 3D-Datensatz einfach z. B. nach Brasilien schicken und dort bauen lassen. Wem die Datensatzbibliothek zu fantastisch klingt: Hätte Ihnen vor acht Jahren jemand gesagt, dass das Anbieten von Klingeltönen für Handys per Internet eine lukrative Geschäftsidee ist, hätten Sie wohl kein Geld darauf gesetzt. Ich sehe aber in Analogie dazu, dass sich Internetbibliotheken mit Datensätzen von allem und jedem bilden werden.
CCR: Wie sieht das in dem Fall mit Urheberrechten aus?
Gebhardt: Das wird in der Tat ein großes Thema. Direkt einher damit geht auch die Frage, wer die Produkthaftung hat. Stellt mir jemand den Datensatz für ein Bauteil zur Verfügung, ist das das eine. Er wird aber nicht dafür haften, dass jemand anderes mit seiner Maschine das Teil richtig baut. Diese nichttechnischen Aspekte bei der Anwendung der neuen Technologien ziehen noch eine Menge Fragen, etwa auch nach Ersatzteilen, nach sich.
CCR: Sie sprachen auch das Problem der Qualitätssicherung bei Einzelteilen an.
Gebhardt: Richtig. Mit Rapid Manufacturing werden oft Einzelteile gebaut. Nach dem klassischen, statistisch-gestützten Qualitätssicherungs-Prüfverfahren muss ich dieses Einzelteil zerstörend prüfen. Dann kann ich sagen: Das Einzelteil war in Ordnung, aber jetzt es ist natürlich leider kaputt. Immer zwei zu bauen würde 50 Prozent Ausschuss bedeuten. Hier sind also andere technische Lösungen gefragt.
CCR: Wird bei so vielen Einzelteilen das Wiederfinden oder Nachverfolgen der Datensätze aufwändig?
Gebhardt: Generative Verfahren erlauben auch die individuelle Kennzeichnung am Bauteil, so dass das ein eher kleines Problem ist. Spannend ist aber auch die Lieferung von Ersatzteilen für Einzelteile. Nach zig Jahren den Datensatz wieder rausholen, das richtige Ersatzteil finden und bauen, erfordert eine exzellente Daten-Logistik und Dokumentation. Dass ist schon bei heutigen Großserienprodukten nicht einfach – nicht nur z. B. für ein mittelaltes Auto so um die zwölf Jahre, sondern sogar für ein ganz Neues. Ein weiteres Problem ist Weiterentwicklung bestehender Teile. Wir haben es über die Jahre erlebt, dass irgendwelche Teile nicht mehr hergestellt werden konnten. Ein großer Bruch kam z. B., als die Silikone nicht mehr in den Spritzgusswerkzeugen verwendet werden durften. Das hatte zur Folge, dass man andere Werkstoffe nehmen und die Werkzeuge umkonstruieren musste. Das muss jemand nachhalten. Ist ein Bauteil heute zugelassen, kann schon 2012 eine Vorschrift kommen, die sagt, das dürft Ihr so nicht mehr machen. Wenn ich dann 2019 den Datensatz von 2011 heraushole, laufe ich in die Falle, dass das Teil nicht zugelassen ist. Dieser ganze Komplex ist sehr spannend, weil er viele der klassischen Gesetzmäßigkeiten der Fertigungstechnik unter neuem Licht erscheinen lässt.
CCR: Wie lernt man, welches Verfahren sich am besten für ein Problem eignet?
Gebhardt: Es gibt keinen Königsweg zu den generativen Verfahren. Aber man schuldet immer das Beschäftigen damit. Das kann man auch tun, indem man ein paar Hersteller anruft und denen die richtigen oder auch dumme Fragen stellt und aus den Antworten neue Fragen generiert, die man dem nächsten stellt. Wenn man als Kunde bereit ist, mit einem Dienstleister zu sprechen, halte ich das auch für eine gute Sache, gerade aufgrund der Vielfalt an Verfahren. Der Dienstleister ist in der Regel sehr daran interessiert, mit dem Kunden zu reden. Er kann aber nur weiterhelfen, wenn er auf die Frage „Was wollen Sie denn mit dem Bauteil machen?“ nicht die Antwort „Das geht Sie gar nichts an!“ bekommt. Das mag im Einzelfall berechtigt sein, da es ja um Produktentwicklungen geht. Aber als Dienstleister möchte ich ja nicht Geheimnisse ausspionieren, sondern eine gute Beratungsbasis haben. Mich interessiert z. B: Ist es ein Problem für die Konstruktion, wenn das verwendete Material hygroskopisch ist und sich das Teil dadurch in der Form verändert? Diese gezielten Fragen an den potentiellen Auftraggeber sollen dabei helfen, ein geeignetes Verfahren vorzuschlagen.
CCR: Wird ein Dienstleister auf jeden Fall versuchen, seine eigenen Verfahren anzuwenden?
Gebhardt: Ich darf auch für die Kollegen sagen, dass wir nicht daran interessiert sind, unsere eigenen Verfahren entgegen besseren Wissens zu verkaufen. Wir bekommen sehr schnell die Retourkutsche, wenn wir wenig geeignete Verfahren anwenden. Der Kunde nutzt uns ja, weil er schnell zu aussagekräftigen Teilen kommen will. Wenn wir diesen Wunsch nicht erfüllen, dann ist das natürlich eine Negativgeschichte.
CCR: Welche weiteren Vorteile bietet es, wenn sich jemand an einen Dienstleister wendet?
Gebhardt: Gerade aufgrund der Vielfalt der Verfahren bietet sich an, auf Dienstleister zurückzugreifen. Das gilt vor allem, wenn eigene Maschinen nicht ausgelastet sind; denn wenn sich jemand selbst eine Maschine kauft, dann aber ein anderes Verfahren nutzen will, kommen seine Controller und beschweren sich. Beim Dienstleister ist man flexibel: Wenn man selbst z. B. ein bestimmtes Material oder Verfahren nicht hat, geht man eben zu dem, der es hat. Da wir ja mit den STL-Daten ein universelles Datenformat haben, kann man das sehr einfach tun. Mit Fräsprogrammen gehen Sie nicht mal so schnell von einer Steuerung auf die andere.
Sehr wichtig ist aber das oben bereits angesprochene gute Personal. Bei ein paar Bauteilen pro Woche fehlt in vielen Fällen einfach die Erfahrung. Dann ist ein Dienstleister einem gelegentlich auch Bauteile im eigenen Haus fertigendem Allrounder weit überlegen.
CCR: Helfen Sie als Dienstleister auch Kunden, die am Ende selbst eine Anlage kaufen wollen und bilden Sie dessen Personal aus?
Gebhardt: In Grenzen. Wir begleiten Kunden schon ein Stück des Weges, insbesondere, wenn er das von Anfang an sagt. Wir sind aber keine Investitionsberater. Dafür gibt es z. B Hochschulinstitute, die sich mit so etwas befassen. Da sollte man allerdings darauf achten, das die Berater mit den vorgeschlagenen Maschinen auch eigene praktische Erfahrungen haben. Das Dienstleister-Interesse steht bei Hochschulen nicht im Vordergrund. Die sind sogar oft durch rechtliche Bedingungen gezwungen, den Auftraggebern nur für eine Übergangszeit weiter zu helfen und ihnen einen Weg zu weisen − entweder zum Dienstleister als dauerhafter Lösung oder zur eigenen Maschine.
CCR: Sie sprachen an, dass industrielle Gemeinschaftsforschung auch ein guter Weg zu Informationen sein kann.
Gebhardt: Da ich Vorsitzender des Fachausschusses 13 des DVS bin, weiß ich, dass sich dort viele Firmen zusammen tun und sagen: Unser Problem sind Oberflächen oder Materialzertifizierung, Verzüge, Spannungen. Dies Fragen haben einen vorwettbewerblichen Charakter und können daher gemeinsam mit ein, zwei kooperierenden Instituten geklärt werden. Ich kann nur raten, relativ wenig Geld und Aufwand in die Hand zu nehmen und sich so einem Fachausschuss anzuschließen. Sie sind eindeutig Industrie-getrieben. Geforscht wird nur das, was die Industriepartner wollen.
CCR: Herr Gebhardt, die erste generative Technologie überhaupt – die Stereolithografie – gibt es bereits seit 25 Jahren. Was ist das Besondere an ihr?
Gebhardt: Das Phänomen ist aus meiner Sicht, dass das ursprüngliche Verfahren, mit den Verbesserungen, die man in 25 Jahren auf dem Gebiet der Computertechnik, der Scantechnik, der Werkstoffentwicklung erreicht hat, im Grunde unverändert geblieben ist und nach wie vor das genaueste Verfahren mit den besten Oberflächen ist. Heute kann man die größten, möglichen Bauteile per Stereolithografie bauen − zwei Meter mal 50 Zentimeter mal 50 Zentimeter. Das geht z. B. auf der Mammut von Materialise, einer Eigenbaumaschine. Und es gibt auch Verfahren, die die Mikrostereolithografie und damit die kleinsten möglichen Bauteile (um die 20 Mikrometer) abdecken. Das hat auch mit dem Säubern der Teile zu tun. Wer will denn schon von Mikroteilen Stützen abmachen oder die Hohlräume spülen.
CCR: Sind bei den neueren Stereolithografie (SL)-Materialien die Schrumpfungsprobleme beseitigt?
Gebhardt: Ja, das hat man besser im Griff. Der größte Schritt bei der SL war der Schritt von den Acrylaten zu den Epoxydharzen, die ein anderes Schrumpfungsverhalten haben, allerdings auch nicht so lichtempfindlich sind. Man hat sehr viel in die Materialentwicklung investiert. Gefüllte Sorten haben zu besserem Temperaturverhalten und höheren Festigkeiten geführt. Es gibt auch Hochtemperaturvarianten; denn ein großes Problem ist die niedrige Glasübergangstemperatur zwischen 60 und 80 Grad. Damit lässt sich der Prototyp eines Eierkochers nicht wirklich machen, jedenfalls nicht in unseren Breiten. Auch die Lagerfähigkeit hat sich sehr verbessert, denn ein Riesenproblem war die Wasseraufnahme der Materialien. Waren die Materialien früher noch unansehnlich braun, erkennt man heute per SL gebaute Teile manchmal gar nicht mehr auf den ersten Blick. Es gibt auch viele gute Harze, die durchsichtig sind; einige sind elastischer, andere fester, andere können getempert werden, so dass sie anschließend hohe Temperaturen aushalten und dabei dürfen sie sich auch wieder nicht verziehen. Das Materialverhalten ist nicht mehr der Flaschenhals.
CCR: Bei einigen SL-Verfahren haben Lampen den Laser ersetzt?
Gebhardt: Die lasergestützte ursprüngliche SL wird ergänzt durch die lampengestützte SL, etwa die Envisiontec-Maschinen, die von unten mit einem großen DLP-Projektor belichten. Beim Polymerdruck (oder –Jetten) von Objet fahren die Hochenergie-Lampen mit den Druckkopf mit. Auch von 3D Systems gibt es so eine ähnliche Maschine. Alle arbeiten aber vorzugsweise mit höher reaktiven Acrylaten. Das ist für Prototypenanwendungen kein Problem; wohl aber bei vielen Bauteilen für die Serienproduktion − also das Additive Manufacturing. Allerdings haben aber gerade die Objet-Leute ganz interessante Materialien entwickelt; welche die weich sind oder die auch unterschiedliche Farben haben. Sie haben das Grundprinzip der Vernetzung durch Licht so weit entwickelt, dass man jetzt auch mehrere Materialien gleichzeitig verarbeiten kann. Dadurch wird die Simulation von Hart-Weich-Verbindungen durchaus möglich, was wieder ganz neue Anwendungen ergibt.
Das Interview führte Monika Corban
CP – Centrum für Prototypenbau GmbH, Erkelenz Tel. 02431/9635-0,www.cp-gmbh.de
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