Silikon-3D-Druck

Produktion zum Miterleben

Die Additive Fertigung von Elastomeren im industriellen Maßstab ist seit Kurzem möglich – durch die von Wacker Chemie entwickelte Aceo-Technologie. Unter diesem Markennamen werden 3D-Druck- und Entwicklungs-Dienstleistungen für Silicone verfügbar. Das Start-up Formhand nutzt sie für die Entwicklung eines ganz besonderen Greifers.

3D-Druck- und Entwicklungs-Dienstleistungen für Silicone: Formhand nutzt sie für die Entwicklung eines ganz besonderen Greifers.

Auf dem Aceo-Campus von Wacker in Burghausen ist es fast komplett still – nur aus einem Kasten von der Größe eines Kopierers ertönt ein Summen. Dieser summende Kasten ist der erste industrielle 3D-Drucker für Silicone, der von Wacker-Ingenieuren entwickelt wurde. Seither verwandelt er kluge Ideen in etwas Anfassbares. Denn Spritzguss und Rapid Prototyping erfahren hiermit eine neuartige, schnelle und für kleine Losgrößen kostengünstige Ergänzung. Mit verschiedenen Farben und Härtegraden von 10 bis 80 Shore A lassen sich viele Anwendungsfälle auch für andere Gummiwerkstoffe abdecken. Die Eigenschaften der 3D-gedruckten Formteile unterscheiden sich nicht wesentlich von Spritzguss-Erzeugnissen und ermöglichen damit seriennahe Prototypen und Kleinserien.

Die Aceo-Technologie beruht auf einer ganzheitlichen Systemlösung aus UV-härtbaren Siliconen, neu entwickelten Druckmaschinen, spezieller Software und der Expertise, digitale Modelle für den 3D-Druck auszulegen. Herzstück der Technologie ist das Drop-on-Demand-Verfahren, mit dem aus etwa 0,4 Millimeter großen, präzise abgelegten Tropfen homogene physische Objekte entstehen. Für Produkt-Geometrien mit Hohlräumen oder Überhängen werden temporäre Stützmaterialien eingesetzt. Durch simultanen Druck mehrerer Materialien lassen sich auch Formteile mit unterschiedlichen Farben, Härten oder Funktionen erzeugen.

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Die außergewöhnlichen Eigenschaften von Siliconen, wie das weite Einsatzspektrum von –55 °C bis 180 °C, die hohe thermische und UV-Beständigkeit wie auch die gute chemische Beständigkeit gegen viele Medien resultieren in zahllosen Anwendungen. Besonders interessant ist der 3D-Druck von Siliconen für die schnelle Verfügbarkeit von Funktions-Prototypen wie Steck- verbinder, Kleinserien für den Musterbau und die Felderprobung wie Sensoren, von Soft Robotics wie Greifer, von neuartigen Ersatz-teil-Konzepten wie Dichtungen oder von Funktionsintegration wie Heizung oder Dämpfung.

Bei der Konstruktion von Formteilen für den 3D-Druck muss der Produktentwickler wissen, dass bestimmte Design Rules ebenso zu beachten sind wie die Tatsache, dass das Formteil verschiedene Arten von Oberflächen aufweist. Diesen Einschränkungen stehen bislang nicht darstellbare Produkt-Geometrien gegenüber, die sich noch außerhalb der Vorstellungskraft befinden. Die zeitnahe kreative Nutzung der Gestaltungsmöglichkeiten ist der wirkliche Wertbeitrag der additiven Fertigung.

Dessen ist sich auch Holger Kunz bewusst. Seine kluge Idee: eine Siliconkappe, die bisher nur auf einem USB-Stick existiert. Dieses unscheinbare Teil soll etwa daumengroß sein, geformt wie eine zylindrische Tasche, oben geschlossen, unten offen und innen hohl. So unspektakulär es auch aussehen mag, ist es doch das Ergebnis jahrelanger Tüftelei, harter Arbeit und einer gehörigen Portion Mut. Denn Anfang des Jahres haben der Maschinenbauer und sein Team um ihre Idee das Start-up-Unternehmen Formhand gegründet. „Angefangen hat alles vor sieben Jahren – ganz klassisch bei einem Bier“, berichtet Holger Kunz. „Ich erzählte meinem Mitgründer Christian Löchte an dem Abend von dem bis dato ungelösten Problem, einen Roboter-Greifer zu entwickeln, der ganz dünnen Stoff fassen kann. Erst scherzten wir rum, aber dabei ist dann die Idee für Formhand entstanden.“

Transportieren mit „Staubsauger“

Die Aceo-Technologie erlaubt auch den simultanen Druck von Silikonen, die sich in Farbe, Härte oder in ihren chemischen Eigenschaften unterscheiden.

Diese Idee ist so einfach wie genial. „Jedes Kind kennt das Prinzip von zu Hause: Wenn man mit dem Staubsauger einen Ball ansaugt, kann man ihn von A nach B transportieren. Das Herzstück von Formhand ist zusätzlich ein mit Granulat gefülltes Kissen vor dem ‚Staubsauger‘, das sich durch den Unterdruck verformt und so an unterschiedlichste Geometrien anpasst“, erklärt Kunz. Durch diese besondere Funktionsweise sind drei verschiedene Betriebszustände des Kissens möglich, die sich beliebig ineinander umwandeln lassen: von frei verformbar über eine Speicherung der aktuellen Form bis zu völlig fest.

Greifer für die Automobilindustrie

In der Automobilindustrie sei es beispielsweise üblich, dass für den linken und rechten Kotflügel unterschiedliche Greifwerkzeuge im Produktions- und Logistikprozess verwendet werden, sagt der Ingenieur weiter. „Unser Formhand-Kissen lässt sich an unterschiedlichste Geometrien und Oberflächen anpassen – und kommt der menschlichen Hand um einiges näher.“ Kotflügel links und rechts, unterschiedlich große Pakete im Logistikzentrum oder dünne Textilien – überall, wo Dinge bewegt werden müssen, kann die Technik eingesetzt werden. Diese Vielseitigkeit spart dem Unternehmen am Ende viel Zeit und Geld für die Umrüstung der Roboter.

Kunz ist an diesem Tag zu Wacker gekommen, um die Einsatzgebiete von Formhand zu erweitern. Die digitale Konstruktionszeichnung der blauen Kappe auf seinem USB-Stick ist der Entwurf für ein neues, sehr kleines Kissen. Durch die weiterentwickelte Form soll dieser Vakuumgreifer in der Lage sein, jeweils eines von acht unterschiedlichen, etwa tischtennisballgroßen Objekten festzuhalten und an einen anderen Ort zu bewegen. Getreu der Hands-on-Mentalität geht es sofort los: Kurz nachdem die Formhand-Datei eingespielt wurde, saust der Druckkopf hin und her. Kleine Tröpfchen oder Voxel (Volumen-Pixel) fließen auf einer Ebene zusammen und werden durch kurze UV-Bestrahlung dauerhaft miteinander vernetzt. Durch die Vulkanisation entsteht eine homogene Schicht und darauf dann die nächste. Im Handumdrehen wurde wieder aus einer klugen Idee etwas Anfassbares. ee

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