Generatives Design
Teil für Teil zu einem leichten Automobil
Mit der steigenden Nachfrage nach Elektrofahrzeugen stehen Autobauer vor der Herausforderung, ihre Fahrzeuge immer leichter zu produzieren – denn weniger Gewicht erhöht die Reichweite der Fahrzeuge. Generatives Design in Kombination mit additiver Fertigung verspricht enorme Potenziale für die Gewichtseinsparung. Pioniere der Autoindustrie wie General Motors und VW testen diesen innovativen Ansatz bereits.
Die globale Automobilindustrie befindet sich im Wandel: Strengere Regulierungen und das Pariser Klimaschutzabkommen, rasante technologische Fortschritte und die Forderung der Verbraucher nach mehr Effizienz und geringeren CO2-Emissionen erfordern neue Denkweisen und den Einsatz von Innovationen und neuen Technologien. Aus diesem Grund suchen Automobilhersteller nach Möglichkeiten, die Motorleistung zu verbessern und das Fahrzeuggewicht zu reduzieren. Hierzu werden die mehr als 30.000 Teile, aus denen sich ein Auto zusammensetzt, zum Beispiel Lenkrad, Pedale, Sitze, Motor, Bremsen oder auch Felgen, erneut auf Optimierungspotenzial geprüft.
Insbesondere Automatisierung, Künstliche Intelligenz und Robotik können dabei unterstützen, wesentlich effizienter zu planen, zu designen und zu fertigen. Damit arbeiten Unternehmen nicht nur wirtschaftlicher, sondern reduzieren auch negative Auswirkungen auf Mensch und Umwelt. Viel Potenzial bietet eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine. Durch ihre unterschiedlichen Fähigkeiten ergänzen sie sich, um aktuelle und zukünftige Herausforderungen zu meistern. Wenn Anwender und Roboter gemeinsam arbeiten und voneinander lernen, können auch bestehende Prozesse und Lösungen davon profitieren und optimiert werden.
Tausend Designentwürfe in kürzester Zeit
Ein Beispiel für das gemeinsame Schaffen von Mensch und Maschine in der Industrie ist die Anwendung des generativen Designs. Dabei erstellt die Künstliche Intelligenz Designvariationen, die auf den vom Designer vorgegebenen Parametern, wie beispielsweise Material, Gewicht, Belastbarkeit oder Fertigungsmethoden, basieren. Die Arbeit in der Cloud ermöglicht in kürzester Zeit die Entwicklung hunderter bis tausender möglicher Designoptionen. Durch das Aussortieren ungeeigneter Designs und das Annehmen anderer gelangt der Anwender zum optimalen Designergebnis.
Diese Form der Gestaltung in Kombination mit der additiven Fertigung revolutioniert die klassischen Konstruktions- und Fertigungsmethoden. Den Mehrwert der Automatisierung, insbesondere in Bezug auf Künstliche Intelligenz und Robotik, erkennen immer mehr Branchen sowie Firmen und investieren zunehmend in deren Nutzung. So auch der etablierte Automobilhersteller General Motors, der als einer der Pioniere im Bereich der Automatisierung gilt.
General Motors sieht enormes Potenzial in der Automatisierung und der Zusammenarbeit mit Maschinen. Für die Fahrzeuge der Zukunft kombiniert der Autobauer seine langjährige Expertise in der additiven Fertigung mit der neuen Form der Entwurfsgestaltung des generativen Designs. Dafür kooperiert General Motors mit Autodesk und nutzt die Design-Software Fusion 360 zur Neugestaltung von Fahrzeugteilen. Die Technologie kommt insbesondere bei der Entwicklung neuer Modelle und dem Umstieg auf elektrisch angetriebene Fahrzeuge zum Einsatz und ermöglicht dem Unternehmen, Material einzusparen und das Gewicht der Fahrzeugteile zu minimieren.
Aus acht wird eins
Eines der Bauteile, das General Motors mit generativem Design überarbeitet hat, ist die Sitzkonsole. Dieses in der Regel aus acht Teilen bestehende kastenförmige Element ist das Gegenstück für Sicherheitsgurte. Mithilfe des generativen Designs gelang es General Motors, eine funktionsoptimierte Sitzkonsole zu konstruieren, die 40 Prozent leichter und 20 Prozent stabiler ist.
Für dieses Ergebnis definierten die Konstrukteure Parameter wie Festigkeit, benötigte Verbindungspunkte und Gewicht. Eingespeist in die Autodesk-Software, wurden auf Basis dieser Werte über 150 verschiedene Entwürfe generiert.
Aus diesen zum Teil sehr abstrakten Konstruktionen wählten die Entscheider von General Motors den aus ihrer Sicht besten Entwurf, der insbesondere bei den Testwerten zu Gewicht und Stabilität überzeugte. Darüber hinaus demonstriert der finale Entwurf zur Neugestaltung der Sitzkonsole einen weiteren Vorteil: Das zuvor aus acht Bauteilen gefertigte Konstrukt besteht nun aus nur einem einzigen Teil. Dadurch kann die komplette Sitzkonsole 3D-gedruckt werden.
Mit dem Einsatz des generativen Designs gelingt dem Fahrzeughersteller erstmals die Konstruktion eines Bauteils, das aufgrund einer organischen Struktur wesentlich leichter ist und dennoch alle wichtigen Parameter erfüllt. Die Umsetzung einer solch komplexen Konstruktion ist dem Menschen allein nicht möglich.
Weniger Rollwiderstand dank generativem Design
Auch VW hat sich die Vorteile des generativen Designs zu Nutzen gemacht und kürzlich einen überarbeiteten und mit Elektromotor ausgestatteten Oldtimer-Bus präsentiert. Dabei wurden mehrere Komponenten des beliebten VW Bulli Typ 2 mit Autodesks generativem Design-Ansatz optimiert.
Für das Projekt wurden die Felgen des 1962er 11-Fenster-Mikrobus vom Typ 2 mit Fusion 360 generativ gestaltet und die Struktur dabei völlig neu überdacht. Die neuen Räder sind 18 Prozent leichter als die ursprünglichen und reduzieren so nicht nur das Gesamtgewicht des Fahrzeugs, sondern verringern auch den Rollwiderstand der Reifen.
Zusätzlich wurden auch das Lenkrad sowie die Trägerstruktur für die Rücksitzbank und die Außenspiegelhalterungen neu gestaltet. Diese neuen Strukturen, die deutlich weniger Material benötigen als eine herkömmliche Radstruktur, hätten menschliche Designer und Ingenieure sonst nur mit viel Aufwand realisieren können. Die neuen Felgen, die überarbeitete Sitzkonsole sowie weitere Projekte sind Beispiele für all jenes, was die Menschen mithilfe des generativen Designs, aber vor allem auch in Zusammenarbeit mit Maschinen, leisten und fertigen können. So können das generative Design und der 3D-Druck für viele Hersteller und Industriesparten die entscheidende Lösung sein, um Prozesse und Objekte zu optimieren oder effizienter zu gestalten.
Automatisiertes Kalkulationsmodell für bessere Kostenübersicht
Zur Optimierung der Prozesse zählt ebenfalls die Abwägung der Leistung und Kosten für die Herstellung der Teile. Daher kooperiert Autodesk mit dem Cost-Management-Tool aPriori. Das automatisierte Kalkulationsmodell, das als Add-on in Fusion 360 verfügbar ist, berücksichtigt Geometrie, Material und Herstellungsverfahren – Kriterien, die Anwender bei der Erstellung einer generativen Designstudie eingeben. Das Tool analysiert jede Designvariante, die mit einer generativen Designstudie erstellt wurde, um den Kostenrahmen für die Fertigung zu ermitteln. So können Anwender bereits früh im Designprozess fundierte Entscheidungen zum Kosten/Nutzen treffen.
Mit dieser Form der Automatisierung und dem Einsatz neuer Technologien können Unternehmen sich so wettbewerbsfähig aufstellen und reduzieren gleichzeitig den Verbrauch von Materialien und somit die negativen Auswirkungen auf die Umwelt.
Wenn jedes Teil einzeln, auch nur geringfügig, leichter gemacht werden kann, ist das Gesamtergebnis ein viel leichteres Fahrzeug. So können bei standardmäßiger Anwendung die Automobile insgesamt leichter werden. Und je weniger ein Fahrzeug wiegt, desto weniger Energie wird benötigt, um es auf der Straße zu bewegen. Dies bietet speziell für Elektroautos einen enormen Vorteil – denn hier wirkt sich das Gewicht besonders auf die Reichweite der Akkus aus.
Karl Osti, Industry Manager Manufacturing bei Autodesk / ag