Werkzeugbau

Andrea Gillhuber,

Neuer Designansatz - Fräser additiv fertigen

Additive Fertigung ermöglicht neue Designfreiheiten abseits des Bekannten. Wie sich die Vorteile des Fertigungsverfahrens in der Werkzeugkörperentwicklung entfalten, zeigt sich am Beispiel eines neu entwickelten Fräserkonzepts. Von Thomas Wikgren

Der Coro Mill 390 Light Weigth von Sandvik Coromant. © Sandvik Coromant

Durch die additive Fertigung müssen Ingenieure ihren Job vollkommen neu denken. Das hört sich zwar extrem an – aber schaut man auf die Freiheiten, die diese schnell wachsende Technologie bietet, ist doch gerade das sehr realistisch.

Spannend am additiven Prozess ist seine transformative Natur. Denn etwas zu „drucken“ oder zu „addieren“, anstatt von einem Vollmaterial zu „subtrahieren“, bedeutet, dass Innenstrukturen mit einer höheren Komplexität herstellbar sind. Endprodukte und Komponenten können so besser für ihren jeweiligen Einsatz optimiert werden. Beispielsweise ist es möglich, Zerspanungswerkzeuge mit aufwendigen Innenhohlräumen und Kühlkanälen zu fertigen  – das reduziert das Gewicht und erhöht die Leistung. Dasselbe gilt für viele andere metallische Teile, sodass die additive Fertigung eine bisher unerreichte Topologieoptimierung ermöglicht. Allerdings haben Ingenieure bisher vor allem gelernt, in subtraktiven Technologien zu denken und zu planen. Und es kann einige Zeit dauern, bis sich dieses Denken ändert und Wissenschaft sowie Industrie in die neuen Technologien investieren.

Ein sich gegenseitig ergänzender Prozess

Beim Thema additive Fertigung muss man vor allem verstehen, dass sie nicht einfach die subtraktiven Verfahren ablöst. Vielmehr ist die additive Fertigung als ergänzende Technologie anzusehen, die für bestimmte Anwendungen in Frage kommt.

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Wie kann ein Unternehmen also entscheiden, ob dieses Verfahren für sie geeignet ist? Eine Checkliste ist zumindest ein guter Anfang: Hat das Bauteil, die gefertigt werden soll, eine komplexe Form? Hat das benötigte Material einen hohen Preis? Und ist ein geringes Gewicht eine wichtige Anforderung des zu fertigenden Bauteils? Wenn ja, könnte das Bauteil ein Kandidat für die additive Fertigung sein.

Weitere Fragen lauten: Wird das Bauteil aufgrund kundenindividueller Massenproduktion voraussichtlich in vielen verschiedenen Ausführungen erhältlich sein? Ist es möglich, dass Teilkomponenten zu einer Komponente zusammengeführt werden? Ist es wichtig, dass die Montagezeit verkürzt und die Produktivität gesteigert oder Lagerbestände reduziert werden? Auch hier gilt: Trifft dies zu, könnte additive Fertigung die Lösung sein.

Der Coro Mill 390 Light Weight mit dem Silent-Tools-Fräsadapter. © Sandvik Coromant

Die Wahl des richtigen Pulvers spielt ebenfalls eine wichtige Rolle, da dessen Qualität und Eigenschaften die Beschaffenheit des Bauteils stark beeinflussen. Dabei müssen drei Hauptaspekte berücksichtigt werden: die Auswahl des Rohmaterials, die Partikelgröße und die Morphologie. Derzeit gibt es fünf große Legierungsgruppen, die in additiven Verfahren zum Einsatz kommen: Stahl, Kobalt-Chrom, Nickel, Aluminium und Titan. Sandvik als ein Hersteller von Metallpulvern für die additive Fertigung bietet hier ein breites Legierungsprogramm – inklusive kundenindividueller Materialien.

Druckverfahren im Überblick

Alle additiven Fertigungsprozesse zeichnen sich durch eine schichtweise Herstellung von dreidimensionalen Objekten aus, aber die Produktionstechniken unterscheiden sich. Dabei lassen sich die Druckverfahren entweder nach ihrer Energiequelle oder nach der Art, wie das Material zusammengefügt wird, klassifizieren – beispielsweise per Laser oder Bindemittel. Sandvik verfügt über alle relevanten Druckverfahren für Metallpulver im eigenen Haus.

Die Pulverbettfusion nutzt entweder einen Laser- oder Elektronenstrahl, um das Pulver zu schmelzen und zu verbinden. Der Vorgang wird so lange Schicht für Schicht wiederholt, bis die letzte Schicht geschmolzen und die Bauteile komplett sind. Diese werden daraufhin von der Bauplatte entfernt und nach Bedarf nachbearbeitet. Pulverbettfusionsverfahren eignen sich für eine Vielzahl an Materialien und Anwendungen, da die Teile in der Regel eine hohe Festigkeit aufweisen und es zahlreiche Methoden der Nachbearbeitung gibt.

Beim Bindemittelverfahren werden ein pulverbasiertes Material und ein meist flüssiges Bindemittel verwendet, das als Klebstoff zwischen den Pulverschichten wirkt. Ein Druckkopf bewegt sich horizontal und bringt abwechselnd Schichten des Baumaterials und des Bindemittels auf. Nach jeder Schicht wird das zu druckende Objekt mitsamt seiner Bauplattform abgesenkt. Das so entstehende Objekt ist in einem Grünzustand und erfordert eine Nachbearbeitung, bei der der Grünkörper in einem Ofen ausgehärtet wird, um das Lösungsmittel aus dem Bindemittel zu entfernen. Schließlich wird das Teil entbindert und in einem Sinterofen auf annähernd vollständige Dichte gesintert.

Um die passenden Merkmale wie Oberflächengüte, geo-metrische Genauigkeit und mechanische Eigenschaften zu erreichen, benötigen fast alle additiv gefertigten Komponenten eine Form der Nachbearbeitung. Zum Beispiel eine Wärmebehandlung, die Trennung der Komponente von der Tragkonstruktion und der Bauplatte, Zerspanung, Oberflächenbehandlung sowie Prüfung und Zertifizierung.

Währenddessen können Innenflächen, wie Innenkühlkanäle, per abrasiver Strömungsbearbeitung poliert werden.

Additive Fertigung als Enabling Technology

Aufgrund des Wissens entlang der Wertschöpfungskette  – von der Topologie über das Pulver bis zu Fertigung und Nachbearbeitung  – konnte Sandvik Coromant seinen ersten additiv gefertigten Werkzeugkörper auf den Markt bringen. Der Coro Mill 390 Light Weight ist ein Beispiel dafür, wie dieses Verfahren in Kombination mit einer optimierten Materialauswahl eingesetzt werden kann, um komplexe Formen und innenliegende Bauteilmerkmale zu erzeugen. In diesem Fall wurde ein Werkzeug realisiert, das 80 Prozent leichter ist, als subtraktive Methoden es erlauben würden. Dies ermöglicht ein kompakteres Design, wodurch in Kombination mit einem Silent-Tools-Fräsadapter der Abstand zwischen Dämpfer und Schneide verkürzt und die Prozesssicherheit beim Fräsen mit langen Überlängen verbessert werden kann.

Das Werkzeugdesign ist das Ergebnis zahlreicher Durchläufe. Unterschiedliche Topologien und Materialien – letztendlich mit einem Wechsel von einer Stahl- zu einer Titanlegierung – konnten mittels des Pulverbettfusionsverfahrens schnell hergestellt und so das Gewicht auf ein Minimum reduziert werden. Insgesamt stehen wir alle am Anfang einer spannenden Entwicklung, weil wir lernen, Produkte auf eine ganz neue Art und Weise zu entwerfen und fertigen. Doch es wird nie Technologie um der Technologie willen sein. Vielmehr wird sich auch Sandvik Coromant bei jedem neuen Schritt fragen, wie die additive Fertigung einen Mehrwert für seine Kunden schaffen kann. Und wo es keinen Sinn ergibt, es auch nicht verfolgen.

Ganz sicher wird die additive Fertigung zu neuartigen Produkten führen, die man sich heute noch nicht einmal vorstellen können. Für Unternehmen verspricht das eine wirklich spannende Zukunft.

Der Autor:

Thomas Wikgren, Manager Product Application Management bei Sandvik Coromant

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